1 - Der Sohn des Schmieds

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Das Zischen von blankem Stahl schnitt durch Lihas unruhigen Schlaf. In der kalten Luft eines trostlosen Wintermorgens verflüchtigten sich die Bilder seines Traums wie Nebel im Wind. Seine linke Hand tastete nach dem Dolch, während er mit der Rechten die Decke beiseite warf, sich seitwärts rollte und hochrappelte. Im nächsten Moment stand er seinem Gegner gegenüber, bereit, sich zu verteidigen.

Der dunkelhäutige Fremde hielt mit reglosem Gesicht die Spitze seines Schwerts auf Lihas Herz gerichtet. Dieser schnellte sich mit gespannten Muskeln vor, um die lange Klinge mit seiner kürzeren beiseite zu schlagen. In dem Bruchteil eines Moments, den ihm das gewagte Manöver verschaffte, wirbelte er herum und ergriff die Flucht.

Nur, um drei weiteren Fremden gegenüberzustehen, drei weitere blanke Klingen auf ihn Gerichte.

Liha wich zurück und drehte sich auf der Suche nach einem Fluchtweg im Kreis. Es gab keinen.

Einer der Männer, eine breitschultrige Gestalt mit grau-meliertem Harr und einem Stoppelbart, hob eine Hand. „Ho, junger Mann, ganz ruhig. Wir werden dich nicht umbringen, wenn du uns einen legitimen Grund nennen kannst, warum du dich auf dem Land des Königs herumtreibst."

„Das Land des Königs?" Lihas Finger krampften sich um das Heft seines Dolchs. Er ließ den Blick vom Sprecher zu dem frischen Grabhügel wandern, gleich hinter dem Spreche im Schatten einer mächtigen Eiche. Das Grab seines Bruder, das er erst gestern eigenhändig aufgeschüttet hatte.

„Genau. Ich bin sicher, dass selbst ein Bauer wie du schon gehört hast, dass ein König über unser schönes Land Kelèn gebietet."

Der Anführer der Männer grinste und zwei seiner Kameraden lachten, als ob er einen guten Witz erzählt hätte. Nur das Gesicht des dunklen Kriegers, der Liha zuerst konfrontiert hatte, blieb unbewegt. Er schob seine Klinge mit geübter Effizienz zurück in die Scheide.

Liha richtete sich auf und ballte die Hände zu Fäusten, um ihr Zittern zu verbergen. Es kostete ihn Mühe, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. „Wenn dieses Land tatsächlich dem Sonnenkönig Mirim gehört, habt ihr es ebenfalls unrechtmäßig betreten."

Mit Ausnahme des dunklen Kriegers schüttelten sich die Männer nun vor Lachen. Aber der Anführer unterbrach die Heiterkeit. „Genug gescherzt. Wir sind die Männer des Königs, Bauernlümmel, also gibst du uns jetzt besser eine vernünftige Erklärung."

Liha musterte ihre Ausrüstung mit zusammengekniffenen Lippen. Trugen die Männer des Königs nicht das goldene Sonnensymbol auf ihren Brustpanzern und dem Schild? Er hatte im vergangenen Sommer eine Gruppe von ihnen bei einer Parade gesehen, am Markttag in Salar. Diese hier sahen aus wie Männer, die schon lange unterwegs waren, ihre Kleidung abgetragen. Nur ihre Waffen schienen in tadellosem Zustand zu sein. Sie erinnerten ihn an die Söldner, die er fürchten gelernt hatte. Die Mörder seiner Familie.

Mit einem hörbaren Seufzer senkte er die Augen und steckte seinen Dolch zurück in die Scheide — und schnellte seitwärts zwischen dem Anführer und dem dunklen Mann davon in Richtung der Sicherheit des Waldes.

Er kam nicht weit. Bevor er das Grab seines Bruder erreichte, packte ihn jemand von hinten und warf ihn unsanft zu Boden. Geschickt packte der Angreifer sein linkes Handgelenk und drehte ihm die Dolchhand auf den Rücken. Liha fand sich auf dem Bauch und mit dem Gesicht im feuchten Laub des vergangenen Herbstes. Feuchter Modergeruch stieg ihm in die Nase und auf seinem Rücken lastete ein schweres Gewicht. Verzweifelt versuchte er, sich aus dem heimtückischen Griff herauszuwinden und seinen Gegner zu treten, aber seine Anstrengungen waren vergeblich.

„Sch, es gibt keinen Grund, davonzulaufen." Die Stimme war tief und leise, beinahe beruhigend. Liha verdrehte seinen Hals um zu überprüfen, ob das der dunkle Krieger war. Diesen hätte er nicht unterschätzen dürfen.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now