16 - Kein Spiel

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16 - Kein Spiel

Melish führte seine Krieger so rasch als möglich nach Norden. In Ansprache mit Berim wählten sie einen weniger begangenen Weg durch die Hügel, der ihnen erlaubte, die Situation im Hinterland zu erkunden. Gleichzeitig konnten sie die Umweg vermeiden, die großen Straßen machten, um die günstigsten Flussübergänge zu nutzen. Das Gefühl der Dringlichkeit ihrer Mission verstärkte sich mit jedem Tag und jeder neuen Nachricht, die den kleinen Spähtrupp erreichte. In den Gasthäusern am Weg ließen sie eigene Berichte zurück für jene Krieger, die auf ihrer Spur folgten.

Auf dieser anstrengenden Reise staunte Liha über das dichte Netzwerk von Informanten, von dessen Existenz er vorher nichts geahnt hatte. Es überzog das ganze Land Kelèn überzog und erstreckte sich wohl weit darüber hinaus, verband Händler und Bettler, Edelleute wie Katim und Frauen am Rand der Gesellschaft wie Naiin. Sogar seine junge Freundin Dánirah war ein Teil dieses unüberschaubaren Netzes, das Informationen durch das Land fließen ließ wie Wasser, das unermüdlich von den Bergen zum Meer strömte.

Inzwischen häuften sich die Berichte über Söldner, die in den nördlichen Gebieten von Kelèn einfielen. Darüber wurde nun auch offen auf den Marktplätzen und in den Gasthäusern bei einem Becher Bier besprochen.

Es ging gegen Mittag an einem feuchtkalten, windigen Tag als sie eine Tagesreise nördlich von Salar ihrer ersten Gruppe von Flüchtlingen begegneten. Berim zügelte sein Pferd und drängte es in eine Wiese neben der Straße. Mit einer Geste bedeutete er den Kriegern, es ihm gleichzutun.

„Macht ihnen Platz."

In der Gruppe der abgerissenen Menschen, die mit gesenkten Köpfen an ihnen vorbeizogen, zählte Liha sieben Kinder und Frauen, von denen eine einen Säugling trug. Ihre Kleider waren blutig und zerrissen, manche trugen Verbände. Der Anblick schnitt ihm tief ins Herz. Er senkte seinen Blick, als die Augen einer alten Frau ihn fanden. Sie hätte seine Großmutter sein können, mit dem silbern durchzogenen Haar, das sie im Nacken zusammengebunden hatte, und den knotigen Fingern, die den Kopf ihres Gehstocks umklammerten. Sie trug einen Verband um den Arm, aber ihre grauen Augen leuchteten wie wie Sterne in einer stürmischen Nacht. Neben ihr ging ein schlaksiger Junge, der wohl nur wenige Jahre jünger war als Liha. Er schleppte eine Tasche, die viel zu schwer für ihn war.

Die Frau nickte Melish zu. „Also ist es wahr, dass der König seine Männer aussendet, um uns zu schützen. Das wird nicht viel helfen."

Melish seufzte. „Nicht dir und deiner Familie, Großmutter. Aber wir können hoffentlich andere davon bewahren, dasselbe Schicksal zu erleiden. Wann und wo ist das passiert?"

„Vor fünf Tagen, drei Tagesreisen westlich von hier."

Liha tauschte mit Berim einen Blick aus. Die Söldner hatten also ein weiteres Dorf in seiner Heimat angegriffen und wohl genauso zerstört, wie sein eigenes. Er fühlte Übelkeit aufsteigen.

Melish befahl seinen Männern, ihre Vorräte mit den Flüchtlingen zu teilen, und sandte die Gruppe weiter, trotz der Bitte des ältesten Jungen, ihn mitzunehmen.

„Lasst mich mit euch reiten." Er trat zu Liha und hielt sich am Steigbügel seiner Stute fest.

„Du musst nicht mich fragen, Melish ist unser Anführer." Liha glaubte, in den Augen des Jungen einen Schmerz zu erkennen, der seinem eigenen gleichkam.

Melish betrachtete den Jungen aus zusammengekniffenen Augen und schüttelte entschlossen den Kopf. „Anders als Liha hier hast du noch eine Familie, für die du sorgen musst. Das sollte deine oberste Priorität sein, nicht die Rache. Sei stark für sie und bringe sie in Sicherheit."

Die  Großmutter nickte zu Melishs Worten und machte sich an der Spitze der Gruppe wieder auf den Weg. Aber die Enttäuschung in den Augen des Jungen verfolgte Liha den ganzen Tag. Er fühlte sich, als ob er nun eine zusätzliche Last trüge und auch für den fremden Jungen in den Krieg zog. Die Begegnung stärkte seine Entschlossenheit, alles zu tun, um die Söldner des Nordens zu stoppen.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now