4 - Die goldene Stadt

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Die Sonne stand schon tief am westlichen Himmel, als Melish sein Pferd in den langen Schatten der Stadtmauer zügelte. „Bis hierher kannst du mit uns reiten, Liha. Aber wir müssen uns nun um die Geschäfte des Königs kümmern und können keinen Fremden in die Festung mitbringen. Immerhin, oben im Palast benötigen sie immer wieder Stalljungen. Mit deiner Begabung im Umgang mit Pferden wirst du dort bestimmt Arbeit finden. Vielleicht kannst du dich sogar als Lehrling in der königlichen Schmiede bewerben."

Eine Falte formte sich auf Lihas Stirn. Er hatte nicht vor, in den Ställen oder in der Schmiede zu arbeiten. Aber er hatte auch gelernt, dass Melish ein strenger Anführer war und sich nur schwer von einer einmal gefassten Meinung abbringen ließ. Deshalb ließ er sich aus dem Sattel gleiten und löste seine Decke und Tasche vom Rücken der Stute. Berim stieg ebenfalls vom Pferd und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Es war ein guter Stern, der uns zusammengeführt hat, Liha-isha-Arashin. Mögen sich unsere Wege wieder kreuzen — in besseren Tagen."

„Danke, Berim, für alles, was du für mich getan hast. Ich werde nach dir Ausschau halten."

Melish lachte und schüttelte die Zügel. „Zumindest ist er einfach zu erkennen in einer Menge. Lasst uns gehen."

Er schnalzte mit der Zunge und ritt in Richtung des Seitentores, das den Mitgliedern des königlichen Truppen vorbehalten war. Berim zwinkerte Liha zu und drückte seine Schulter bevor er  aufs Pferd stieg und die Zügel der Stute nahm, auf der Liha geritten war. Das Pferd blickte den jungen Mann etwas verwirrt an, trottete aber dann mit den anderen davon.

Wieder alleine auf sich gestellt, beobachtete Liha, wie sich das kleine Tor zwischen zwei schmalen Türmen südlich des Haupttors für die Gruppe unverzüglich öffnete. Bevor er in dem Torbogen verschwand, wandte sich Berim um und winkte ihm zu. Liha winkte zurück. In den wenigen Tagen, die er mit den Kriegern verbrachte, hatte er  die ruhige und kompetente Effizienz und die freundliche Art des dunklen Mannes schätzen gelernt. Er vermutete, dass in Berims Adern mehr als nur ein kleiner Teil Tannarí-Blut floss, aber er traute sich nie, danach zu fragen. Seine Kollegen verspotteten den Krieger ohnehin wegen seines schwarzen Haars und seiner braunen Haut. Liha wollte nicht noch Öl in dieses Feuer gießen. Seine eigene Mutter war eine Nordländerin gewesen und hatte ihm ihr braunes Haar vererbt. Er wusste aus Erfahrung, wie schmerzvoll Worte sein konnten, selbst wenn sie scherzhaft gemeint waren.

Mit einem leisen Seufzen wendete er sich dem Haupttor zu. Die mächtigen Mauern aus gelblichem Sandstein, die Penira zum Namen ‚die goldene Stadt' verholfen hatten, wirkten im Abendlicht eher bedrohlich. Aber die Sonne ließ die Dächer der königlichen Festung, die hoch über der Stadt thronte, in warmen Golttönen erstrahlen. Dies war das berühmte Schloss des Hauses Diun, die Residenz des Sonnenkönigs Mirim. Liha war noch nie soweit im Süden gewesen, aber er erinnerte sich gut, wie seine Schwestern von der legendären Schönheit des Schlosses schwärmten. Eine dunkle Wolke der Trauer überzog seine Gedanken. Von seiner Familie würde er der einzige bleiben, der des Königs Burg zu sehen bekam.

Liha schob die finsteren Gedanken beiseite und nahm sein Bündel auf. Seine Beine waren steif vom langen Ritt und sein Rücken schmerzte. Gehen würde ihm bestimmt helfen, sich wieder etwas besser zu fühlen. Zudem musste er sich beeilen, wenn er die Stadt erreichen wollte, bevor die Tore bei Sonnenuntergang geschlossen wurden.

Er hatte bis zuletzt gehofft, Melish würde seine Meinung noch ändern, aber auch Berim hatte ihm erklärt, dass er sich nicht einfach der Gruppe Krieger anschließen konnte. Um dem Heer des Königs beizutreten, musste er sich am offiziellen Rekrutierungstag bewerben. Nur diejenigen Männer und Frauen, welche die harten Tests bestanden, wurden zu vollwertigen Kriegern des Königs ausgebildet.

Kurz vor dem Tor überholte Liha einen Zug von Handelsleuten. Der Staub eines langen Tags auf der Straße bedeckte ihre Ausrüstung und die Erschöpfung verlangsamte den Schritt der Ochsen und Pferde vor den Wagen. Nur die Wagenführer schienen aufzuleben beim Anblick der Stadt — und wohl der Hoffnung auf eine Nacht im Innern der Mauern, ein festes Dach über dem Kopf und einen Becher Bier oder Met in der Hand. Die Männer und Frauen sprachen über ihre Pläne für den Abend, während einige Kinder ausgelassen zwischen den Wagen hin und her rannten, begeistert, dass das Ziel der Reise nun so nahe lag.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now