11 - Rat der Hrankaedí

37 7 7
                                    

Noak umkreiste den schneebedeckten Felssporn hoch über dem Silitatal, auf dem die Stammburg des Hauses Silita thronte. Es hatte eine Weile gedauert, den Ältesten dazu zu bringen, den Rat der Hrankaedí einzuberufen. Aber endlich war es soweit — um Mitternacht würden sich die Vertreter der Drachenschatten im Hof des Mondbaums treffen, um über den Konflikt zu sprechen, der sich zwischen den Völkern der Menschen anbahnte. Und natürlich galt es, über das Vorgehen der Wesen der Dunkelheit zu beraten.

Dass die Beratung auf Silita-Suan stattfand, in der verlassenen Burg der Königinnen der Nacht, hatte für Noak symbolhafte Bedeutung. Der Ort der Zusammenkunft weckte aber auch traurige Erinnerungen. Sie würde niemals vergessen, wie die Königin Haonàn hier die Wesen der Nacht zusammenrief, um ihnen ihre neugeborene Tochter Tanàn vorzustellen, die Thronfolgerin der Königinnen der Nacht, die Hoffnung des Haus Siltia.

Aber Haonàns große Träume für ihre Tochter zerschlugen sich wie ein Eiszapfen im Tauwetter. Als es die Königin Jahre später ihrer langwierigen Krankheit erlag, war Tanàn nicht zur Stelle, um ihre Nachfolge anzutreten. Ranoz versammele damals die Hrankaedí, um nach der Thronfolgerin zu suchen. Aber die Anstrengungen der Drachenschatten blieben erfolglos. Tanàn blieb verschwunden, der Thron der Königinnen leer. Und die Wesen der Nacht zogen sich zurück, um ihr Leben ohne die Unterstützung des Hauses Silita fortzusetzen.

In den Jahren seit Haonàns Tod hatte die Burg gelitten. Vor allem die harten Winter hatten den Gebäuden zugesetzt und die Last des Schnees war für einige der Dächer zu viel geworden. Noak konnte durch eine große Lücke zwischen den gebrochenen Dachsparren hindurch in eine Halle blicken, wo kostbare Gewebe und kunstvoll geschnitzte Möbel verrotteten. Es schmerzte, die einst so stolze Burg in diesem Zustand zu sehen.

Die Hrankae drehte ab und zog eine weitere Runde um das große Bauwerk, bevor sie im obersten Hof des Schlosses landete. Dort stand ein einzelner, uralter Baum. Noak erinnerte sich an seine zauberhafte Blütenpracht, wenn der Frühlingsvollmond über der Burg aufstieg. Jetzt, im Winter, streckte Silfanu, der Mondbaum, seine kahlen Äste wie geisterhafte Finger gegen den Himmel.

Noak landete im Hof, wo bereits einige Drachenschatten warteten, begrüßte sie und faltete ihre Flügel. Ranoz war noch nicht da. Aber ein junger Hrankae den sie nicht kannte, blinzelte ihr freundlich zu und liess etwas Rauch aus seinen Nüstern kräuseln.

Bevor sie ihn ansprechen konnte, kündete das Rauschen von Flügelschlägen die Ankunft weiterer Teilnehmer der Zusammenkunft an. Ranoz landete trotz seiner Masse elegant neben dem Mondbaum, ohne auch nur ein Ästchen dieses Symbols der Königinnen der Nacht zu knicken. Er nickte den Anwesenden würdevoll zu und wartete, bis etwa ein Dutzend weitere Drachenschatten sich zu ihnen gesellte.

Schließlich hob er seine rumpelnde Stimme. „Hrankaedí der westlichen Berge. Es ist lange her, seit ein Rat auf Silita Suan stattfand. Zudem wäre es nicht an mir, euch zusammenzurufen. Aber Noak, die Hüterin der Höhen von Eshekir hat mich gebeten, diese Versammlung einzuberufen. Wir hören dich, Noak von Eshekir."

Noak war dankbar, dass der Älteste seinen Unwillen wenigstens nicht öffentlich gemacht hatte. Trotzdem hätte sie sich etwas mehr Unterstützung gewünscht. Sie holte tief Atem.

„Hrankaedí. Es freut mich, so viele von euch heute versammelt zu sehen. Noch schöner wäre es gewesen, auch die Xylin, die Kaedin und die Nsilí in unserer Mitte zu finden, wie in alten Zeiten. Aber ohne eine Ahranan, welche die Völker der Nacht verbindet, gibt es keinen großen Rat. Und genau das ist das Problem."

Alle Augen waren nun auf sie gerichtet, von blass golden zu orangerot, die geschlitzten und schräg gestellten Pupillen aufmerksam geweitet.

„Die Menschen sind dabei, im Haontal einen Krieg zu beginnen. Nun mögt ihr denken, das ist weit weg und geht uns nichts an. Aber die Kaedin und die Xylin wurden von den Menschen bereits weit zurückgedrängt in die dünn besiedelten Gebiete von Selei und Gerin. Sie können ihre Lebensräume nicht einfach verlassen und weiterziehen, weil es kaum mehr unberührte Gegenden für die gibt. Wenn das Land mit Blut getränkt und die Flüsse verschmutzt sind, sind auch ihre Lebensgrundlagen zerstört."

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now