5 - Verletzt

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Dánirah presste ein feuchtes Tuch gegen ihr geschwollenes Auge und betrachtete mit dem anderen das Gesicht des jungen Mannes. Er mochte ungefähr in ihrem Alter sein, vielleicht auch ein oder zwei Jahre jünger. Eine hässliche Schramme lief über seine Stirn, wo er mit dem Kopf aufgeschlagen war, und Blut verklebte seine braunen Locken. Seine geschwollene und aufgerissene Oberlippe ließe eine Reihe weißer Zähne erkennen.

„Denkst du, er wird es überstehen?"

„Ich glaube schon." Naiin beugte sich über den Fremden und tupfte mit einem feuchten Lappen das Blut von seinem Gesicht. „Sein Atem geht etwas regelmäßiger, das ist zumindest ein gutes Zeichen. Hilf mir, sein Hemd auszuziehen. Ich möchte wissen, ob er noch andere Verletzungen hat."

Die junge Tanna legte das Tuch auf einen Stuhl neben dem schmalen Bett und half der Frau, dem Jungen das zerrissene Hemd vom Körper zu schälen. Die hässlichen Prellungen auf seiner blassen Haut waren schwarz und blau verfärbt. Naiin ließ ihre Finger sanft über die Rippen gleiten, die sich deutlich auf seinem mageren Körper abzeichneten.

„Ich glaube, hier ist nichts gebrochen. Auch der Schnitt an seinem Arm ist einigermaßen sauber. Ihr beide habt heute sehr viel Glück gehabt."

„Ich weiß, und ich verstehe nicht, weshalb er mir zu helfen versuchte. Er hat riskiert, dabei getötet zu werden." Sie fügte nicht hinzu, dass sein Eingreifen ihre Angreifer lange genug abgelenkt hatte, um ihr die Flucht zu ermöglichen. Zudem wagte sie nicht, sich vorzustellen, wie die Sache geendet hätte, wenn nicht Naiin und ihre Freundinnen rechtzeitig dazugekommen wären.

Die Frau wühlte in einer Schublade und kam mit einer Spule Faden und einer feinen Nadel zurück. „Vielleicht ist er bloß ein anständiger Junge. Es ist wohl am Besten, wenn ich diese Wunde nähe, solange er bewusstlos ist. Kannst du ihn festhalten, Dánirah?"

Die Tanna schluckte leer und nickte. Der Fremde hatte ihr geholfen, also war es das Mindeste, was sie tun konnte, Naiin zu unterstützen, ihn zusammenzuflicken. Deshalb packte sie seine rechte Schulter und den Ellbogen und drückte sie nach unten, während ihre Gastgeberin die klaffenden Ränder der Wunde reinigte. Im gedämpften Licht, das durch das einzelne Dachfenster drang, nähte sie den Schnitt mit geübten Stichen zusammen.

„So, wenn er einige Tage dazu Sorge trägt, sollte das problemlos heilen." Sie stand auf und holte einen irdenen Krug von einem Regal. Als sie den Stöpsel herauszog, kitzelte der scharfe Geruch von Alkohol Dánirahs Nase. Naiin tränkte die Wunde mit der Flüssigkeit. „Das ist eigentlich dazu gedacht, meinen Kunden bei der Entspannung zu helfen. Aber es wird hoffentlich eine Entzündung der Wunde verhindern."

„Bist du eine Heilerin?" Dánirah hatte noch keine Gelegenheit gehabt, viel über die Freundin ihrer Mutter und nun ihre Retterin herauszufinden.

Naiin schüttelte lachend ihre rote Mähne während sie den Krug wieder zustöpselte und zurück ins Regal bei der kleinen Herdstelle stellte. „Nein, aber ich war lange genug mit dem Heer des Königs unterwegs, um meinen Teil an Verletzungen zu sehen. Oftmals waren die Feldärzte überfordert, wenn sie all die verwundeten Krieger nach der Schlacht versorgen mussten. Zudem ziehen es die Schattenwandler vor, sich nicht an Kriegen zu beteiligen. Töten widerspricht ihren Grundsätzen. Deshalb hing es oft an uns, kleinere Wunden zu versorgen."

Dánirah, die wieder ihr geschwollenes Auge kühlte, starrte die ältere Frau in einer Mischung aus Unglauben und Bewunderung an. Hatte die Freundin ihrer Mutter tatsächlich im königlichen Heer gekämpft?

Naiin schien ihre Gedanken zu lesen. „Es ist nicht, wie du denkst, Dánirah. Ich bin bloß eine Marketenderin, eine Hure, oder wie du das gerne nennen willst. Wie jeder General weiß, der seinen Sold Wert ist, brauchen Soldaten auf dem Weg in ihr potentielles Verderben Liebe und Ablenkung. Deshalb erlauben sie es einem Tross von Frauen, das Heer zu begleiten. Es ist ein hartes Leben, aber auch nicht schlimmer als vieles anderes."

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now