29 - Der Drache von Kelen

24 6 4
                                    

Mit schwerem Herzen sah Liha zu, wie seine Freundin zusammen mit ihrer Mutter davonschritt, ihre dunklen Gestalteten aufrechte und weithin sichtbar im braunen Grasland. Als sie die größere der beiden auf einer Kuppe stehenblieb, um zurückzublicken, winkte er ihr mit tränenverschleierten Augen zu. Berim legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter, sagte aber nichts. Es genügte, dass der Freund da war. Liha wünschte sich, er könnte Dánirah nachlaufen, könnte sie überzeugen, zu bleiben — oder würde mit ihr ans Ende der Welt reisen, oder nach Eshekir, was auch immer sie zuerst erreichten. Aber er hatte erst gestern dem König einen Eid der ewigen Treue geschworen, den er nicht brechen konnte.

„Berim, glaubst du, dass sie die Wahrheit gesagt hat?"

„Shonai? Sie ist die Träumerin der Tannarí. Ich verstehe nicht, wie ihre Gabe funktioniert, aber ich würde mir niemals anmaßen, an den Worten dieser Frau zu zweifeln."

Liha schwieg, und Berim drückte seine Schulter. „Du hast doch gesehen, wie die Heilerin Dánan arbeitete? Sie hat gestern zahllosen Männern das Leben gerettet, die ohne ihre Hilfe inzwischen längst von uns gegangen wären. Die Magie der Schatten ist stark. Weshalb sollten Shonais Träume nicht die Wahrheit sagen? Haben sie nicht Dánirah und ihre Mutter hier wie vorhergesagt zusammengeführt?"

Melish hatte sich erhoben und trat zu ihnen. Mit der gesunden Hand schob er seinen zerrissenen Ärmel zurück. „Berim weiß, dass ich nicht viel von all diesen magischen Dingen halte. Aber wir sollten dankbar sein für die Hilfe dieser drei Frauen. Meine Wunde hätte sich innerhalb weniger Tage entzündet und mich vermutlich umgebracht, wie damals deinen Bruder. Schau sie dir jetzt an."

Der Krieger hatte recht. Der tiefe Schnitt war bereits geschlossen und von einer Kruste bedeckt die kein Zeichen einer Entzündung zeigte. Die Wunde musste nicht einmal genäht werden. Wenn etwas die magische Begabung der Heilerin bestätigte, dann dies.

Liha fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Dann sind Shonais Träume also auch eine Art Magie?"

Berim nickte, blieb ihm aber eine Erklärung schuldig, weil in diesem Moment Katim an ihr Feuer trat. Das Gesicht des königlichen Beraters war bleich und dunkle Ringe unter seinen Augen sprachen von einer schlaflosen Nacht, aber seine Augen waren wach und aufmerksam wie immer. „Guten Morgen. Liha, der König hat nach dir gefragt."

„Ja, mein Herr." Er beugte den Kopf, wie es der Brauch verlangte, wenn er das Wort an einen Edelmann richtete.

Katim streckte die Hand aus, fasste Lihas Kinn und drückte es nach oben, bis er ihm gerade in die Augen blicken konnte. „Mein Name ist Katim, nicht mein Herr. Und was auch immer du warst, bevor wir damals die Hauptstadt verließen, du bist nicht mehr dieselbe Person. Verstehst du das, Liha?"

Eine tiefe Falte formte sich auf Lihas Stirn. Natürlich hatte er sich während diesem Feldzug verändert, aber er wusste genau wer er war. In seinem Innern war er immer noch Liha-isha-Arashin, der Sohn des Schmiedes von Diakya, der seine Familie in einem brutalen Gemetzel verloren hatte, und er würde es immer bleiben. Allerdings hatte er inzwischen gelernt, dass keine Rache seinen Verlust jemals ersetzen oder die leere Stelle in seiner Brust wieder auffüllen konnte. Das konnten nur Menschen, die ihm etwas bedeuteten.

„Liha, was soll ich bloß noch sagen?" Katim schüttelte den Kopf und warf Berim einen verzweifelten Blick zu. Der dunkle Krieger kam ihm mit einem Lächeln zu Hilfe.

„Der Berater des Königs möchte dir sagen, dass du und dein nachtaktiver Drachenfreund es geschafft haben, den Verlauf dieser Schlacht zu ändern und uns zum Sieg zu führen. Zudem hast du den jungen König vor dem sicheren Tod bewahrt. Nach all dem vertraut dir Pentim und sieht in dir einen Freund. Du hast inzwischen diesen ungeschickten Jungen, der über seine eigenen Füße stolpert, wenn er ein Schwert ziehen soll, weit hinter dir gelassen."

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinDär berättelser lever. Upptäck nu