2 - Fluch oder Segen?

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„Dáni? Wach auf, es ist Zeit, aufzubrechen." Die Dringlichkeit in Shonais Stimme durchdrang das Traumgewebe. Dánirah setzte sich auf, gähnte und rieb sich die Augen, um die Schläfrigkeit zu verjagen. Mit geschickten Fingern bürstete sie sich eine Handvoll Strohhalme aus ihrem langen schwarzen Haar und flocht es rasch zu einem Zopf.

Im Stall war es immer noch stockdunkel, und das Ackerpferd im hölzernen Verschlag gleich nebenan schnaubte leise im Schlaf.

Dánirah senkte die Stimme, um das Tier nicht zu wecken. „Es ist noch mitten in der Nacht, Mutter. Können wir nicht zumindest bis Sonnenaufgang warten?"

„Sch. Wir haben einen langen Weg vor uns, heute, und ich will früh los. Wer weiß, was uns da draußen alles erwartet."

Unterdrückte Geräusche sagten Dánirah, dass ihre Mutter ihre Besitztümer in ihre Tragetasche stopfte. Sie beeilte sich, es ihr gleichzutun — keine leichte Aufgabe, im Dunkeln. Zum Glück erinnerte sie sich, wo sie gestern Abend alles hingelegt hatte, eine Gewohnheit, die sie sich auf mancher langen Reise angeeignet hatte. Sie war bereit und schlüpfte in ihre festen Schuhe, als Shonai das quietschende Scheunentor öffnete.

Ein Luftzug drang in den warmen Stall und die Kälte der Nacht kündigte sich an wie ein Botschafter mit schlechten Neuigkeiten. Dánirah zog den Schal eng um die Schultern, hob ihre Tasche auf und drückte sich durch den schmalen Türspalt. Sie fröstelte in der Kälte als sie das Tor hinter sich zuzog. Shonais Gestalt war nur ein vager Schatten, der sich in die eisigen Windböen stemmte, aber sie folgte ihrer Mutter klaglos in die Nacht hinaus.

Als der Wind die Wolken beiseite schob, beleuchtete der zunehmende Mond den Pfad durch die Weiden. Shonai ging schnell, und Dánirah musst sich beeilen, um sie einzuholen. Einmal an ihrer Seite, konnte sie aber mühelos Schritt halten. Sie berührte den Arm ihrer Mutter. „Bitte überanstrenge dich nicht. Dein Husten wird wieder ausbrechen."

Shonai's Arm zitterte unter ihren Fingerspitzen. „Mach dir keine Sorgen, es wird nun jeden Tag besser." Sie hatte den Satz kaum beendet, als sie sich vornüberbeugte, während ein trockener Husten ihren mageren Körper schüttelte. Es dauerte nicht lange, aber als sie sich aufrichtete, hielt sie ihre Hände vor Mund und Nase, um die Atemluft zu wärmen. „Es ist nur eine Erkältung aus der Nacht, die wir in dem Schneesturm verbrachten."

Dánirah äußerte sich nicht. Diese Nacht, das war vor über einem Mond gewesen, und selbst die Zeit im Winterlager hatte ihrer Mutter nicht geholfen, sich von der Krankheit richtig zu erholen. Gestern hatten sie das Lager wegen eines Traums verlassen, und sie vermutete einen anderen Traum als Ursache für den ungewohnt frühen Aufbruch, heute. Aber Shonai sprach nie mit ihr über ihre Visionen, außer sie betrafen Dánirah direkt. Deshalb war sie überrascht, als ihre Mutter nach ihrer Hand griff.

„Letzte Nacht hatte ich einen großen Traum. Ich verstehe noch nicht alles, aber die Zukunft wird mir Erklärungen bringen. Unsere Wege werden sich heute trennen."

Ein Zittern der Vorahnung lief durch Dánirahs Muskeln und ihr Nacken fühlte sich an, als würde Eiswasser darauf tröpfeln. „Nein."

„Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut." Die ältere Frau legte den Kopf schräg, als würde sie dem Wind zuhören. „Spürst du auch die Ängstlichkeit?"

„Angst? Das ist gelinde ausgedrückt. Ich werde dich nicht allein lassen. Nicht wenn du planst, in die Stadt zu reisen." Dánirah schlang die Arme um sich, aber nicht nur wegen der Kälte der Nacht.

Shonai schüttelte den Kopf. „Höre nicht darauf. Es ist die projizierte Furcht eines Kae, die du fühlst. Komm, lass uns weiter gehen, damit die kleine Dunkelheit wieder ihre Ruhe findet."

Sie ergriff die Hand ihrer Tochter und zog sie auf dem Weg weiter. Ungefähr nach einem Steinwurf begann das beklemmende Gefühl der Angst nachzulassen. Dánirah atmete tief durch. „Wie machen sie das?"

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now