15 - Gefangen

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Während der nächsten Wochen stieg die Temperatur an und verwandelte den Schnee in Matsch. Morgens schlüpfte Dánirahs in ihre feuchten Schuhe, die während der Nacht nicht mehr trocken geworden waren, obwohl sie für einmal einen Unterschlupf in einem leerstehenden Stall gefunden hatte. Aber sie hatte kein Feuer entfachen können, und ihre Körperwärme und das Stroh, in dem sie sich zusammengerollt hatte, genügten nicht, sie über Nacht warm zu halten. Sie biss die Zähne zusammen und schnürte die feuchten Schuhe trotzdem — innert kürzester Zeit würden sie sowieso wieder durchweicht und von Schlamm verkrustet sein.

Das Vorankommen unter diesen Verhältnissen wurde zur Qual. Getrieben vom Wunsch, sobald als möglich die Gegend zu erreichen, wo sie ihre Mutter treffen sollte, setzte Dánirah dennoch eisern einen Fuß vor den anderen. Dabei fragte sie sich, ob sie wohl besser ein Stück nach Osten ziehen sollte. Die Hauptstraße in den Niederungen würde das Reisen bestimmt leichter machen. Zudem lagen dort die Siedlungen dichter beieinander und es wäre einfacher, für die Nacht ein Dach über dem Kopf zu finden. Hier draußen gab es nur wenige weit verstreute Gehöfte und sie waren oft nur klein. Aber sie wollte möglichst keine Zeit mit einem Umweg verlieren. In dieser abgelegenen Gegend war es vielleicht sogar sicherer für eine einsame Reisende als in den dichter besiedelten Gebieten näher am Fluss Haon.

Den ganzen Tag wechselten sich Regen und Schnee ab bis sie gegen Abend völlig erschöpft an der Weisheit ihres Entschlusses zweifelte. Ihre Kleidung war immer noch klamm und feucht und ihr Magen knurrte. Im Gehen aß sie die letzten Vorräte aus ihrer Tasche, weil sie nirgends einen trockenen Platz für eine Pause fand.

Als sie bei Einbruch der Dämmerung die Kuppe eines Hügels erreichte, blieb sie enttäuscht stehen. Vor ihr erstreckte sich ein weiterer Wald schier endlos zum Horizont. Nirgends konnte sie auch nur die Spur einer menschlichen Siedlung entdecken. Ihre Stimmung sank. Einmal mehr wusste sie nicht, wo sie die Nacht verbringen sollte. Diese sanften Hügel boten nur wenig Hoffnung, eine Höhle oder einen überhängenden Felsblock zu finden, unter dem sie sich verkriechen konnte.

Mit einem tiefen Seufzer begann sie den Abstieg. Im dichten Wald hatte die Dämmerung bereits eingesetzt und die Luft war erfüllt vom Geruch nach vermodertem Holz. Dass das tote Holz hier ungenutzt Ligen blieb, bestätigte ihr, dass es in der Nähe kein Dorf mit einem hohen Bedarf an Feuerholz gab.

Dánirah zog ihre feuchte Jacke enger um sich. Sie sehnte sich nach der Geborgenheit und Wärme von Senais Lager. Selbst ein lärmiges Gasthaus wäre ihr nun willkommen gewesen. Diese einsamen Tage und Nächte zehrten an ihrer Kraft. Als ein Anflug von Panik sie über eine Wurzel stolpern ließ, hielt sie inne.

Das war nicht ihre eigene Furcht. Inzwischen erkannte sie die projizierte Angst eines Kae, wie sie sie auf ihrer Reise ab und zu verspürte hatte. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Früher hätte sie diesen Ort so rasch als möglich verlassen. Heute erfüllte es sie mit Freude, dass zumindest noch andere Wesen ihre Einsamkeit teilten. Sie rappelte sich auf und ging behutsam weiter, bis sich das beklemmende Gefühl wieder legte. „Auf Wiedersehen, kleines Kae. Lass dich von mir nicht stören."

Natürlich bekam sie keine Antwort, aber beinahe vermisste sie die Ausstrahlung der kleinen Dunkelheit, sobald sie weg war — ganz anders als die Ängste, die sie heimsuchten, wenn sie die ganze Nacht alleine war.

Immerhin hatte der Regen nun aufgehört. In der zunehmenden Dunkelheit hielt sie nach einer großen Tanne Ausschau, deren ausladenden Äste ihr vielleicht eine trockene Schlafstelle bieten würden. Sie war so konzentriert auf diese Suche, dass es einen Moment brauchte, bis sie den schwachen Geruch von Rauch registrierte.

Sobald sie des Dufts gewahr wurde, blieb Dánirah stehen, und sah sich mit weit aufgerissenen Augen nach dem Schein eines Feuers um. Gab es in der Nähe vielleicht ein Lager einer Tannarí-Sippe, die sie nicht kannte? Hoffnung beschleunigte ihren Herzschlag und sie drehte sich um ihre Achse, um , woher der Geruch kam.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now