23 - Feuerspur

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23 - Feuerspur

Noak hob und senkte die Flügel auf ihrem Kurs gegen Norden. Gleichzeitig stieß sie einen langgezogenen Feuerstrahl aus, nicht zu kräftig, bloß ein brennender Hauch, der eine lange Leuchtspur am Himmel hinterließ. Kurz darauf kehrte Salik, der in einem weiten Bogen das Lager der menschlichen Krieger umkreist hatte, an ihre Seite zurück.

„Die Menschen brechen tatsächlich auf. Ich glaube, deine Idee hat funktioniert."

Die ältere Hrankae schnaubte, noch nicht von der Wirksamkeit ihres Manövers überzeugt. „Das ist auch an der Zeit. Mir wäre es lieber gewesen, wenn die Xylin die Menschen geführt hätten."

„Weshalb wollten sie das eigentlich nicht tun? Sie hatten ja Erfolg mit der jungen Frau." Salik hatte immer noch Mühe, die kleinen Wesen zu verstehen, und an der Versammlung hatten zu viele Stimmen durcheinander gesprochen.

Deshalb hatte auch Noak nicht alle Beweggründe der Leuchtkugeln verstanden. Nun ja, die Xylin waren von Natur aus scheu und mochten die Menschen nicht. Dass sie sich davor bereit erklärt hatten, dieser menschlichen Frau zu helfen, war an sich schon eine Überraschung gewesen. Trotzdem, dass die Hrankae nun selbst die Führung übernehmen musste, widersprach Noaks Empfinden und Freiheitsdrang so sehr, dass sie sich überlegte, die Unternehmung abzubrechen, ihre Niederlage einzugestehen und unvollendeter Dinge nach Eshekir zurückzukehren.

Aber klein beizugeben war auch nicht eine ihrer Stärken. Nicht wenn sie an den herablassenden Blick dachte, mit dem Ranoz sie bedenken würde. Nein, sie hatte sich diese Mission selbst ausgesucht und sie würde sie zu Ende bringen, komme was da wolle.

Ein Blick nach unten bestätigte ihr Saliks Beobachtung. Die Menschen setzten sich nun tatsächlich in Bewegung. Wie langsam und schwerfällig sie doch waren, trotz ihrer Reitpferde. Für die Strecke, die ein Mensch in einer Nacht zurücklegen konnten, genügten einer Hrankae wenige Dutzend Flügelschläge. Und damit wurde sich Noak eines weiteren Problems bewusst. Sie konnte unmöglich so langsam fliegen wie die Krieger am Boden reiten würden.

„Salik, ich fürchte, wir werden in Kreisen fliegen müssen, damit sie uns nicht aus den Augen verlieren."

Ihr Begleiter schnaubte bestätigend. „Und vermutlich werden sie das Leuchten deiner Flamme brauchen, um nicht vom Weg abzukommen. Ich glaube, sie sehen in der Nacht nicht besonders gut."

Der jüngere Hrankae hatte recht. Und da er selbst noch zu jung war, um Feuer zu atmen, blieb es an Noak hängen, die Menschen zu führen. Sie knirschte mit den Zähnen und versuchte, ihren aufkeimenden Ärger hinunterzuschlucken. „Stimmt. Dann ist es vielleicht besser, wenn du nachsiehst, wie der Krieg verläuft und wo die Heere die Nacht über lagern. Es genügt wohl, wenn ich hier Kreise drehe und den Reitern als wegweisende Fackel diene. Zudem kannst du mir Anweisungen geben, wohin ich sie genau führen soll. Ich glaube, sie sind nicht besonders gut, Hindernisse wir Flüsse und Schluchten zu queren."

„Einverstanden. Ich drehe eine Runde, erkunde den Weg und komme zurück."

Verdrossen blickte die ältere Hrankae Salik nach, als er gehorsam nach Norden flog. Der junge Drachenschatten war ein überraschend gute Gefährte, zuverlässig und immer bereit, zu helfen. Sie hätte es schlechter treffen können. Trotzdem hätte sie liebend gern mit ihm getauscht.

Ein Blick zurück zeigte ihr, dass die Krieger sich nun endlich formiert hatten. Rasch flog sie an die Spitze des Zuges und gab ein weiteres Feuersignal, um ihnen den Weg zu weisen.

Die Nacht wurde Noak lang. Immer und immer wieder musste sie ihren langsamen Flug weiter bremsen, indem sie eine Schleife flog. Immer und immer wieder beleuchtete sie den Weg für die Krieger mit ihrem Feuerhauch. Wenigstens lernten die Menschen rasch, ihre Anweisungen zu lesen und zögerten nun nicht mehr, ihr zu folgen.

Aus ihrer Flugperspektive konnte sie den Weg erkennen, den die Truppen nehmen mussten. Langsam fand sie sich in eine Routine von Schleife fliegen, Feuerhauch ausstoßen und den Weg voraus prüfen. Trotzdem übersah sie eine Schlucht, die sich plötzlich vor den Kriegern öffnete. Sie hatte gerade ein Feuersignal geben wollen, als sie die tiefen Schatten erkannte. Hastig drehte sie ab und lenkte ihr Gefolge nach Westen, gerade noch rechtzeitig.

Ärgerlich schnaubte sie eine schwarze Wolke von Russ. Es durfte nicht passieren, dass sie diese Menschen in ihr Verderben führte. Nicht, nachdem sie ihr das Vertrauen schenkte. Zum Glück kehrte in diesem Moment Salik zu ihr zurück.

„Salik, ich habe diese Schlucht übersehen. Kannst du eine Stelle suchen, wo die Menschen sie queren können?"

Der junge Drachenschatten zögerte nicht und tauchte ab, um tief über dem Boden einen gangbaren Weg zu suchen. Zu Glück fand er eine Stelle, an der die Reiter den Einschnitt ohne größere Probleme passieren konnten. Ungeduldig warteten die Hranhkae, bis das Hindernis im Feuerschein von Noaks Atem überwunden war.

Sobald das letzte Pferd wieder auf der Hügelflanke stand, nahm Noak ihre Rolle als Führerin wieder und sandte sie ihren Begleiter nach Norden, um ihr die Entfernung zum Schlachtfeld zu melden.

„Falls du weitere solche Einschnitte siehst, komm bitte rasch zurück. Wir können nicht zu viel Zeit mit solchen Umwegen verlieren."

„Ich bemühe mich. Es ist nicht einfach, in menschlichen Dimensionen zu denken."

Das war es nicht, und Noak hatte selbst ihre Mühe damit. Aber obwohl es ihr  vorkam, als würden die Krieger kaum Fortschritte machen, kamen sie stetig der Stelle näher, wo sich die beiden Heere am Fluss belagerten. Der Hrankae war klar, dass die Zeit  nicht reichen würde, ihr Gefolge bis zum Schlachtfeld selbst zu bringen. Aber wenn sie nahe genug waren, konnten die Krieger den Rest des Weges im Tageslicht selbst suchen und zurücklegen.

Als im Osten der Horizont heller zu werden begann, atmete Noak tief durch. Sie hatte getan, was sie konnte. Der Rest lag in den Händen der Menschen. Sie blies eine letzte Feuerwolke in die Richtung des Schlachtfelds, bevor sie ihre Flügel anwinkelte und eine Schleife flog. Die Krieger zögerten und blickten ihr nach. Sie wiederholte deshalb das Manöver, bevor sie endgültig abdrehte. Nach einem kurzen Moment ritten die Krieger weiter, auf die Kuppe des Hügels zu, von der aus sie die gegnerischen Lager in der Flussebene erkennen sollten.

Noak schlug kräftig mit den Flügeln und steuerte das Versteck in der Kalksteinklippe an. Salik wartete bereits am Höhleneingang auf sie. „Ich fürchtete schon, du würdest es nicht mehr schaffen."

Sie faltete ihre Flughaut und schlüpfte in die Höhle. „Keine Angst, ich habe nur bis zuletzt gewartet, damit die Krieger auch bestimmt am richtigen Ort ankommen. Ich will nicht, dass die ganze Arbeit umsonst war. Wie steht es mit der Schlacht?"

„Es ist schwierig abzuschätzen. Die Nordländer sammeln immer noch mehr Krieger und werden morgen wohl mit neuen Kräften angreifen. Wenn deine Männer rechtzeitig eintreffen, könnten sie diesen Vorteil ausgleichen."

„Gut, dann hat sich diese Nacht wenigstens gelohnt." Noak bettete den Kopf auf ihre Pranken und schloss die Augen.

Aber Salik schien noch nicht müde zu sein. Er wälzte sich auf seinem Lager hin und her. „Glaubst du, dass wir unser Ziel erreichen werden?"
Noak blinzelte mit einem Auge und schnaubte — diesmal nur eine winzig kleine Wolke Rauch und ohne einen einzigen Funken. Sie hatte genug Feuer erzeugt, diese Nacht, und fühlte sich regelrecht ausgebrannt. „Ich weiß es nicht, Salik."

„Kann eine so kleine Gruppe Krieger denn überhaupt einen Unterschied machen?"

„Auch das kann ich nicht beantworten, ich verstehe nicht viel von menschlichen Kriegen. Wenn nicht, liegt es nicht an uns. Wir haben getan, was wir konnten. Ich bin immer noch überrascht, dass wir die Krieger überhaupt dazu brachten, mir zu folgen."

„Die Xylin sprachen von einer Tochter der Dämmerung und einem Drachenkrieger, als wären die beiden etwas besonderes." Salik wälzte sich erneut auf die andere Seite. „Vielleicht konnten sie zusammen die anderen Menschen überzeugen."

„Vielleicht." Noak gähnte. „Vielleicht haben wir auch einfach die Xylin falsch verstanden. Aber wir werden ja heute Abend sehen, wie sich das ganze entwickelt. Die Menschen werden den Tag sicher nicht verschlafen."

„Stimmt. Ich hoffe bloß, dass wir erfahren, ob unser Einsatz diese Nacht etwas zur Beendigung des Krieges beigetragen hat."

Noak seufzte. „Das hoffe ich auch. Aber versuche jetzt zu schlafen. Wer weiß, was uns als Nächstes bevorsteht."

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinWhere stories live. Discover now