3 - Der Prinz

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Die Tür mit dem goldenen Sonnensymbol schloss sich mit einem leisen Klicken hinter Pentim und er stürmte die Treppe hinunter, immer zwei Tritte auf einmal nehmend. Erleichtert, endlich den stickigen Gemächern seines Vater zu entfliehen, gab er dem unbändigen Drang nach, zu rennen. Natürlich musste er dieses Bedürfnis sogleich wieder unterdrücken. Es geziemte sich für den Sohn des Königs nicht, wie ein übermütiges Fohlen durch das Schloss zu galoppieren. Deshalb stoppte er auf dem nächsten Treppenabsatz und blickte schuldbewusst zu seinem Lehrer zurück.

Der grauhaarige Katim setzte gelassen einen Fuß vor den anderen. Als Berater des Königs ließ er sich nie leicht aus der Ruhe bringen und schien auch heute Pentims ungestüme Ungeduld nur amüsant zu finden.

„Was beschäftigt dich, mein Prinz?" Der ältere Mann ergriff Pentims Ärmel und zog ihn mit sich weiter die Treppe hinunter, diesmal in gemessenem Schritt, wie es sich für den Ort gehörte.

Pentim fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dem respekteinflössenden Katim eine Frage zu stellen, war immer ein zwiespältiges Erlebnis. Einerseits war der Freund und Ratgeber des Königs eine Quelle unendlicher Erfahrung und Weisheit. Andererseits konnte er sich mühelos in endlosen Erklärungen verlieren, die den Prinzen regelmäßig schläfrig werden ließen.

Aber diesmal siegte die Neugier. „Glaubst du wirklich, dass es einen Krieg geben wird, im Norden?"

Der alte Lehrer antwortete nicht sofort. Erst als sie den königlichen Teil des Palastes verlassen hatten und den großen Hof überquerten, wo ihnen unter freiem Himmel niemand zuhören konnte, sah er Pentim mit gerunzelter Stirn an. „Was denkst du denn, mein Prinz? Du hast die Nachrichten alle gehört und warst an der Beratung dabei. Wird es zu einem Krieg kommen?"

Pentim zögerte. Die Gespräche zwischen dem König, seinen Beratern und Heerführern hatten nach dem Morgenessen begonnen und den halben Vormittag gedauert. Sie waren ihm langwierig und langweilig erschienen. Das war dem aufmerksamen Katim bestimmt nicht entgangen. Aber trotzdem hatte Pentim pflichtbewusst und schweigend zugehört. Er wusste, dass sowohl sein Vater wie auch sein Lehrer das von ihm erwarteten. Trotzdem, seit er anstelle seines Bruders angehalten war, den Besprechungen des Königs mit seinem inneren Kreis von Ratgebern beizuwohnen, fühlte sich Pentim seiner unbeschwerten Jugendtage beraubt.

„Ich denke, es gibt genügend Hinweise für die Gefahr eines Krieges. Allerdings berichten die Späher vor allem von einzelnen Banden, die in unser Reich eindringen, um Überfälle auf alleinstehende Höfe oder neuerdings auch kleine Dörfer durchzuführen. Es scheinen Söldner zu sein, die kein eigentliches Heer bilden." Pentim blickte Katim fragend an, aber dieser nickt nur. Deshalb fuhr er nach einem Moment des Zögerns fort. „Nach allem was wir wissen, lässt sich nicht ausschließen, dass die Söldner auf Geheiß des Rates von Lelai handeln. Und falls die Lellini zu den Waffen rufen, werden wir uns rechtzeitig formieren müssen."

„Genau. Sehr gut. Das war eine treffende Zusammenfassung der Diskussionen heute Morgen. Ich sehe, dass doch nicht all meine Mühe vergebens war."

Das fröhliche Funkeln in den Augen seines Lehrers verriet Pentim, dass er sich für einmal nicht blamiert hatte mit seiner Einschätzung. Trotzdem konnte er einen tiefen Seufzer nicht unterdrücken.

„Was ist?" Katim blieb stehen, um ihn aus seinen grauen, von Runzeln und Fältchen umrahmten Augen zu mustern.

„Nichts. Ich wünschte nur, Kerim wäre hier. All diese diplomatischen Dinge haben ihm wirklich Spaß gemacht. Er war der Nachfolger, den mein Vater sich gewünscht hat. Der Prinz, den das Reich brauchte." Er blickte beschämt zu Boden. Seit dem unerwarteten Tod seines Bruders hatte er diese Gedanken noch nie jemanden gegenüber laut geäußert.

Der Berater des Königs berührte ihn sanft am Arm. „Dein Bruder Kerim war ein wunderbarer Mensch und ein geborener Thronfolger. Ich weiß, wie nahe ihr beide euch standet. Sein Tod hat uns alle hart getroffen, am härtesten wohl aber deinen Vater. Ich sehe, dass du dich bemühst, Kerim zu ersetzen, aber wir beide wissen, dass dir das nicht gelingen kann, nicht so, wie du es gerne möchtest."

Pentim ließ die Schultern hängen. „Ich weiß. Wenn wenigstens Mutter noch da wäre. Außer Kerim war sie die einzige, die es immer schaffte, meinem Vater ein Lächeln zu entlocken. Aber seit ihrem Tod konnte das nur noch mein Bruder. Und nun, nach diesem unglücklichen Unfall, scheint der König keine Gefühle mehr zu besitzen."

„Du weißt, das das nicht wahr ist, Pentim. Ja, der König trauert um deine Mutter und nun auch um deinen Bruder. Trotzdem liebt er dich, auch wenn er im Moment vielleicht nicht den richtigen Weg findet, es dir zu zeigen. Und du darfst Dich nie für wertlos halten, denn das bist du nicht." Katim verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Soltest du nicht deine Waffenübungen machen?"

Überrascht blickte Pentim seinen Lehrer an. Eigentlich war bis am Mittag seine Ausbildung in höfischem Protokoll vorgesehen. Aber Waffenübungen machten mehr Spaß und würden ihn auf andere Gedanken bringen. „Gerne. Aber was ist mit der Lektion bei Duwish?"

„Keine Sorge, ich werde das mit ihm klären. Geh, bevor ich es mir anders überlege." Katim scheuchte den Prinzen in Richtung der Waffenkammer davon.

Pentim fiel es schwer, nicht loszustürmen. Aber er wusste, dass sein Lehrer ihn beobachtete. Deshalb bemühte er sich um einen würdevollen, dem Thronfolger angemessenen Schritt. Wenn Katim an ihn glaubte, wollt er seinen Lehrer nicht enttäuschen.

Bereits im Torbogen zum unteren Hof schlug im das Scharren von Stahl auf Stahl entgegen. Pentims Mundwinkel hoben sich in einem Lächeln. Der Schwertkampf war seine liebste Disziplin. Vielleicht kam er noch rechtzeitig, um mit den fortgeschrittenen Kämpfern zu trainieren. Und vielleicht waren sogar einige seiner alten Waffengefährten heute im Hof. Er vergaß alle guten Vorsätze und rannte los.

In der Ausrüstungskammer half ihm der Waffenmeister persönlich, die Bänder seiner Trainingsrüstung festzuzurren. Der kahlköpfige Krieger mit dem steifen Bein reicht ihm ein Schwert. „Hier, mein Prinz. Es ist schön, dich wieder einmal zu so früher Stunde hier zu sehen."

„Leider viel zu spät, wenn es nach mir ginge, und auch nur eine Ausnahme, die ich Katim verdanke. Aber ich will mich nicht beklagen. Immerhin darf ich heute wieder einmal mit den Kriegern trainieren." Früher, als Kerim noch der Thronfolger gewesen war, hatte Pentim sehr viel Zeit hier verbracht. Er sehnte sich nach diesen unbeschwerten Tagen. Sie würden nicht wiederkehren.

„Nun, du wirst einige alte Bekannte antreffen, mein Prinz. Manche sind aber auch schon losgezogen, um des Königs Feldlager bei Sitajaa einzurichten."

„Wegen dem bevorstehenden Krieg, ich habe davon gehört." Plötzlich schien die Wahrscheinlichkeit eines Krieges viel größer, als Pentim noch während den morgendlichen Beratungen geglaubt hatte. Der Heerführer seines Vater hatte von einem geplanten Feldlager im Norden gesprochen. Aber dass bereits Truppen dorthin unterwegs waren, hatte er nicht erwähnt.

Der Waffenmeister nickte. „Ja, vielleicht wirst du deine Kampfkunst früher brauchen, als Du ahnst, mein Prinz. Aber geh jetzt."

Ein warmer Schauer der Erwartungen lief durch Pentims Körper. Würde sein Vater das Heer anführen? Würde er ihn mitreiten lassen? Vielleicht war dies die langersehnte Gelegenheit, dem König seinen Wert zu beweisen. Voller Zuversicht gesellte er sich zu den Kriegern. Dies hier war seine Welt, viel mehr als jene in den abgedunkelten Zimmern des Königs, wo politische Entscheidungen gefällt wurden. Wenn er Gelegenheit bekam, sich im Kampf zu beweisen, würde sein Vater ihn bestimmt endlich akzeptieren.

Am Rand des Kampfplatzes blieb er stehen, um zwei jungen Kriegen beim Zweikampf zuzusehen. Er kannte die beiden, und sie hatten Fortschritt gemacht. Trotzdem glaubte er, dass er mit ihnen noch mithalten konnte. Als einer strauchelte und auf die Knie fiel, reichte ihm sich sein Kollege die Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen. „Alles gut?"

„Ja, aber ich brauche eine Pause." Der Verlierer nahm den Helm vom Kopf und rieb sich den Schweiß von der Stirn. „Aber du kannst ja mit Pentim weiter trainieren. Er wird dir zeigen, wie das richtig gemacht wird."

Der Gewinner lachte. „Pentim, komm her, ich brauche einen würdigen Gegner." Er nahm den Helm ab und strich sich die blonden Locken hinter die Ohren. „Wenn du dich noch erinnerst , wie das geht?"

Der Prinz schenkte ihm ein schiefes Grinsen und stülpte den Helm über. Momente später waren die beiden jungen Männer in einen heftigen Schwertkampf verwickelt.

Liha & Dánirah - Der Drache und die TräumerinKde žijí příběhy. Začni objevovat